Von kaum jemanden beachtet und auch vom Heimatverein leider übersehen, hatte unser altes Rathaus ein Jubiläum: Seit dem Jahr 1816, also seit über 200 Jahren, steht es in der Ortsmitte. Die Jahreszahl 1816 ist in das Metallgeländer des Rathausbalkons eingearbeitet und gibt so Zeugnis vom Baujahr. In die Erinnerung ist das Jubiläum anlässlich der – hoffentlich erfolgreichen – Wiedereröffnung des Rathauscafes gerückt und es ist sicher interessant, etwas in die Geschichte zurück zu blicken.

Nach den Unterlagen der Ortschronik gab es in Ittlingen schon vor dem 30-jährigen Krieg ein Rathaus, das wohl 1622 durch Truppen des Feldherrn Tilly niedergebrannt wurde. Diese hatten zuvor die befestigte Stadt Hilsbach erobert und zerstört. Um 1648 wurde ein neues Rathaus errichtet, das wohl wie ein einfaches Bauernhaus gebaut war und auf das im Jahr 1795 ein Türmchen zur Unterscheidung aufgesetzt wurde. Im Erdgeschoß befand sich die „Metz“, in dem die jüdischen Metzger die Tiere auf rituelle Art schlachteten und dafür eine Gebühr entrichten mussten. Wo sich dieses Gebäude im Ort befand, geht aus den alten Unterlagen nicht hervor.

Bis zum Jahr 1811 tagten in diesem Rathaus die damaligen Ortsorgane, das Gebäude wurde so baufällig, dass es wegen Einsturzgefahr nicht mehr genutzt und durch einen Neubau ersetzt werden musste. Dazu prüfte das Großherzoglich- Badische Bezirksamt Eppingen zunächst, ob die Gemeinde überhaupt finanziell in der Lage war, ein neues Rathaus zu bauen. Erst als die Gemeinde nachweisen konnte, dass das benötigte Bauholz aus gemeindeeigenem Wald im Weisenberg entnommen werden konnte, wurde die Genehmigung erteilt und ein Plan von Baumeister Weis von der Bausektion des Innenministeriums entworfen. Nach Meinung des Ministeriums sollte sich ein Rathaus von Bürger- und Bauernhäusern unterscheiden und „einem geläuterten Schönheitsideal“ (was wohl darunter verstanden wurde?) entsprechen. So entstand das Gebäude im Weinbrennerstil mit einem Untergeschoß aus Stein und einem Obergeschoß aus ausgemauertem Holzfachwerk und mit einem „Balkon aus Eisenmaßwerk“ mit der eingebundenen Zahl. Im Erdgeschoß gab es eine Arrestzelle, die von den Ittlingern „Kascho“ (Käfig) genannt wurde (wahrscheinlich vom französischen „cage“). Im Rathaustürmchen hing neben der heute noch die Zeit anzeigende Rathausuhr die Sturmglocke, die bei Feuer und sonstigen Gefahren geläutet wurde.

In diesem Rathaus war nun der Sitz der Ortsverwaltung und der Bürgervertretung. Im Jahr 1831 war im Großherzogtum Baden ein Bürgerrechtsgesetz und eine Gemeindeordnung in Kraft getreten, nach der Bürgermeister und Gemeindevertreter nicht mehr ernannt, sondern gewählt wurden. Schon zuvor waren die jahrhunderte-lang nebeneinander – oft wohl auch durcheinander – bestehenden Ämter und Amtspersonen der Grundherrschaften und der Gemeinde vereinheitlicht oder abgeschafft und eine straff organisierte, moderne Verwaltung geschaffen worden.

Bis zum Jahr 1976 wurde das Rathaus von der Gemeindeverwaltung genutzt, dann erfolgte der Umzug in die ehemalige Schule. Das „alte Rathaus“ wurde 1979 verkauft und als Drogerie und Eiscafe genutzt. Nach längerem Leerstand kaufte es die Gemeinde zurück und renovierte es aufwändig. Im Obergeschoß entstand eine Wohnung, das Erdgeschoß wurde zum Rathauscafe umgebaut. Heute bildet es mit dem neu gestalteten Dorfplatz den attraktiven Mittelpunkt unserer Gemeinde.

Welche Erinnerungen verbinden sich wohl für viele Ittlinger mit dem Rathaus? Ich erinnere mich als erstes an die eindrucksvoll bei jedem Schritt knarrenden Bodendielen im Ratssaal und an die Ortsausrufanlage, in die der „Oberamtsmeister“ (den Titel gab es wirklich) Artur Mayer die Bekanntmachungen sprach. Zuvor hatte der jeweilige Ortspolizeidiener diese an bestimmten Stellen im Dorf „ausgeschellt“. Nach dem Krieg übernahm das nun diese technische Anlage, überall im Dorf hingen dazu Lautsprecher. Vor Beginn der Bekanntmachungen wurde zuerst ein Marsch gespielt. Gab es im Laden Kolb frische Fische zu kaufen, war anstatt des Marsches das Lied „Die Caprifischer“ zu hören. War jemand gestorben, ertönte vor den Bekanntmachungen ein trauriges Trompetensolo und zum Abschluss das Volkslied „Im schönsten Wiesengrunde“. So war jedermann im überschaubaren und beschaulichen Ittlingen schnell und bestens informiert.

       Michael Hauk