Es ist für uns heute kaum noch vorstellbar, dass die Generation der Ende des 19. Jahrhunderts geborenen Ittlinger – darunter noch meine Großeltern – keinen elektrischen Strom in Haus und Hof im damals noch bäuerlich – handwerklich geprägten Dorf zur Verfügung hatten…

Kein bequemer Griff nach dem Lichtschalter, sondern Kerzen und Petroleumlampen im Haus, Stalllaternen oder Karbidlampen in Ställen und Scheunen. An den Brennmaterialien wurde gespart und nur das absolut Nötigste beleuchtet, auch aus Gründen des Brandschutzes. Kein schnelles Einschalten des Elektroherdes, eines Wasserkochers oder einer Waschmaschine, keine warme Dusche im Bad. Für alles musste umständlich und zeitraubend im Küchenherd oder im Ofen Feuer gemacht werden. Keine elektrische Bohrmaschine, Drehbank oder Kreissäge für die Handwerker.

Versuchen wir uns einmal vorzustellen, wie viel Zeit und Arbeit die Menschen damals nur für elementare, tägliche Bedürfnisse wie Licht und  Wärme, Essen zubereiten, Wäsche waschen usw. aufbringen mussten, neben den sonstigen schweren Arbeiten in Haus und Hof, Feld, Stall oder im Handwerk. Um sich diese Arbeiten wesentlich zu erleichtern und am allgemeinen Fortschritt teilhaben zu können, entstand auch in der Gemeinde Ittlingen nach Ende des 1. Weltkrieges die Forderung aus der Bevölkerung, an der einsetzenden Elektrifizierung des ländlichen Raumes teilzuhaben. Dabei spielte eine wichtige Rolle, dass für Gewerbe- und Handwerksbetriebe sowie für die Landwirtschaft immer mehr Geräte und Maschinen zur Verfügung standen, die die Handarbeit wesentlich erleichterten, aber nur mit Elektrizität betrieben werden konnten.

Wie sah es im damaligen Baden und benachbarten Württemberg mit der Elektrifizierung überhaupt aus? Baden gab Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts dazu wichtige Impulse. Bedingt durch die vorhandene Wasserkraft zum möglichen Betrieb von Turbinen wurde schon relativ früh Elektrizität erzeugt. Zunächst meist auf örtlicher Ebene, z.B. durch Mühlen, die mit Turbinen ausgerüstet waren und dann ein Dorf oder eine kleinere Region mitversorgten. Im Zuge der weiteren starken Industrialisierung  wurden dann die großen Flusskraftwerke am Rhein und die Talsperren im Schwarzwald zur Stromerzeugung erbaut. Durch die Entwicklung der Freileitungen war es möglich geworden, Strom über längere Strecken zu den Bedarfsorten zu leiten. Eine der ersten längeren Freileitungen z.B. führte vom Zementwerk Lauffen nach Heilbronn und wurde 1891 bis nach Frankfurt/Main weitergeführt. Während die Städte mit hohen Einwohnerzahlen und stark wachsender Industrie früh an das Stromnetz angeschlossen wurden, verlief die Entwicklung in den ländlichen Räumen wesentlich langsamer. Gründe dafür waren u.a. eine dünne Besiedlung mit weniger Abnehmern, wesentlich größere Entfernungen zu den Großkraftwerken und dadurch bedingt hohe Kosten für die Freileitungen und weiteren Installationen. Einzelne Gemeinden konnten solche Kosten nicht aufbringen und so wurden staatlich unterstützte und finanziell geförderte Zweckverbände gegründet, um die Elektrizität in die Fläche zu bringen.

In unserem Raum fanden dazu ab dem Jahr 1919 zwischen den zum Amtsbezirk Eppingen gehörenden Gemeinden untereinander und mit der für die Elektrifizierung zuständigen „Oberdirektion des Wasser- und Straßenbauamtes“  in Karlsruhe Informations- und Abstimmungsgespräche statt. Darin ging es um den Anschluss an einen sog. Strombezugsverband, dem dann die Elektrifizierung übertragen werden sollte. Die Bezirksgemeinden entschieden sich zunächst für den Strombezugsverband „Mosbach-Buchen“. In einer Sitzung im Oktober 1919 stimmten der Gemeinderat und der Bürgerausschuss Ittlingen diesem Vorschlag zu und die Gemeinde trat dem Verband bei. Der Firma Rheinelektra aus Mannheim wurde der Bau der Leitungen und Trafostationen übertragen. Um die notwendigen Arbeiten zur Elektrifizierung zu finanzieren, musste die Gemeinde 60.000,- RM bezahlen, für die damaligen Verhältnisse eine sehr hohe Summe. Der Betrag wurde als Darlehen beim „Landwirtschaftlichen Kreditverein“ mit einem Zinssatz von 4,5% und einer Laufzeit von 40 Jahren aufgenommen. Dieser Laufzeit stimmte das Bezirksamt Eppingen jedoch nicht zu, sondern reduzierte diese auf 10 Jahre. Infolge der nachfolgenden Inflation löste sich diese Darlehenssumme quasi auf.  Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen erlosch bereits 1920 die Mitgliedschaft beim Verband Mosbach-Buchen. Die Gemeinde Ittlingen und die übrigen Bezirksgemeinden schlossen mit der „Stromvertriebsstelle der Oberdirektion des Wasser- und Straßenbauamtes“, dem späteren „Badenwerk“, einen Stromlieferungsvertrag ab. Die bisher erstellten Leitungen und sonstigen Einrichtungen gingen in den Besitz des Badenwerks über, während die Firma Rheinelektra weiterhin mit dem Bau der Freileitungen, Trafo-Stationen und Anschlüssen beauftragt war. Im April 1920 trat Rheinelektra dazu mit der Bitte an die Gemeindeverwaltung heran, eine „Liste mit Interessenten an Licht- und Kraftabnehmern“ * zu erstellen, damit die Firma „die Berechnung und Ausführung des Ortsnetzes“ * vornehmen konnte. Daraufhin erstellte die Gemeindeverwaltung die gewünschte Liste und führte darin lückenlos sämtliche 279 Häuser in der Gemeinde mit den Hauseigentümern und Bewohnern auf, dazu die Zahl der jeweils gewünschten „Brennstellen“, also Lichtanschlüssen und Steckdosen, und der „Motoren“. Die Zahl der beantragten „Brennstellen“ reichte darin von meist einer in Wohnhäusern von bis zu fünfzehn, z.B. im damaligen Kaufhaus Hege. Für 67 Häuser wurden zum Zeitpunkt der Erhebung keine Brennstellen gewünscht. Aus den archivarischen Unterlagen geht leider nicht hervor, warum die Eigentümer bzw. Bewohner auf elektrische Anschlüsse verzichteten, ob aus Skepsis gegenüber der neuen Technik oder wegen fehlender finanzieller Mittel. Weiterhin wurden von Handwerksbetrieben und Landwirten insgesamt 17 Anschlüsse für Motoren gewünscht, von meist einem Elektromotor bei Landwirten und Handwerkern bis zu fünf bei der Firma Lackner. Es war damals üblich, dass einzelne Elektromotoren über lange Antriebe und Transmissionen mehrere unterschiedliche Maschinen oder Geräte antrieben. Die neuen Stromkunden mussten für die Leitungen bis zum Haus für Brennstellen pauschal 350.- RM und für Motorenanschlüsse 700.- RM bezahlen, hinzu kamen dann die Kosten für die Installationen innerhalb der Anwesen. Für die damaligen finanziellen Verhältnisse der Bürger sicher nicht leicht aufzubringende Summen. Der Fortschritt hatte seinen Preis!

Bei den neuen Elektromotoren war die Leistung auf 1,5 PS je Motor beschränkt. Da dies zum Betrieb der künftig im Ort eingesetzten Lohn-Dreschmaschinen nicht ausreichte, schlug Rheinelektra vor, im Ortsgebiet eine Starkstromleitung mit in Abständen von ca. 150 m angebrachten, gegen „Missbrauch und Unfälle durch elektrischen Starkstrom gesicherten“ * Steckdosen zu verlegen, was auch geschah. Der Dreschmaschinenunternehmer musste daher ein entsprechend langes Elektrokabel mitführen, um die Dreschmaschine im ganzen Dorfgebiet anschließen und betreiben zu können. Die Gemeinde erhielt eine Straßenbeleuchtung und prompt gingen nach deren Inbetriebnahme schon Beschwerden über falsch angebrachte oder fehlende Leuchten ein. Im Zuge der Baumaßnahmen der Überlandleitung ging auch ein Schreiben des Badenwerks an die Ortsschulverwaltungen des Bezirks ein. Darin wurde beklagt, dass „nach den Erfahrungen in anderen Orten die Porzellan-Isolatoren an den Masten durch Steinwürfe immer wieder mutwillig beschädigt würden“, * und es wurde darum gebeten, „diesem Unfug energisch entgegen zu treten und strenge Strafen anzudrohen“. * Soweit ich mich erinnere, gab es diesen Unfug ab und zu auch noch während meiner Schulzeit…

Im Mai 1920 forderte der Stromversorger von der Gemeinde auf Grund immenser Kostensteigerungen, u.a. verursacht durch die Kriegsreparationen und die beginnende Inflation, einen „Baukostenüberteuerungszuschuss“  * in Höhe von 40.- RM je Einwohner, bei 1380 Einwohnern eine Summe von 55.240.- RM, zusätzliche zum bereits gezahlten Betrag von 60.000.- RM. Dieser Zahlung stimmten Gemeinderat und Bürgerausschuss wohl oder übel zu, auch dafür wurde ein Darlehen aufgenommen, das in der Inflation verschwand.

Im Lauf der Jahre 1920 und 1921 erfolgte dann die Verlegung der Leitungen und Anschlüsse. Dazu wurden von der Rheinelektra nach Möglichkeit auch Handwerker aus den Orten des Bezirksamtes beauftragt, die sich in die neue Technik eingearbeitet hatten. Hier in Ittlingen wurde der Großvater des heutigen Besitzers der Fa. Elektro-Scheeder, Adolf Scheeder, als „Vertrauensmann des Stromversorgers“ * eingesetzt, dem „jederzeit Zutritt zu den Anlagen der Elektrizitätsversorgung zu gewähren ist“.* Adolf Scheeder war ursprünglich Flaschnermeister, über ihn und andere Handwerker, die plötzlich „Elektriker“ werden mussten, gibt es nette Anekdoten zu nicht ganz einfach auszuführenden und manchmal nicht ganz zufriedenstellenden Reparaturen mit der neuen Energie und überraschenden Stromschlägen, die damit erlebt werden konnten… Und ohne Streit ging es auch nicht ab! Schon beim Bau der Überlandleitungen gab es unterschiedliche Auffassungen und Auseinandersetzungen zum Standort der Masten, zu Leitungsrechten, Entschädigungen von Bäumen und Grundstücken, Einträge von Grunddienstbarkeiten usw.  Später ging es dann um die Anschlüsse von Anwesen außerhalb des damaligen engeren Gemeindegebietes wie dem Kalkwerk Kircher in der Reihener Straße (heute abgebrochen), das Kalkwerk Hering (heute BauSpezi), der Sägemühle (jetzt Friedenshorst) und um Häuser im Grünen Hof. Hier musste die Gemeinde – ebenso wie zur Installation von zusätzlichen Straßenlampen in der Richener- und Reihener-Straße – noch einen Teil der zusätzlichen Baukosten tragen.

Dann war es endlich so weit: Am 10.10.1921 traf im Rathaus Ittlingen eine einfache Postkarte des Badenwerks mit folgender Mitteilung ein:

Am 11.10.1921 wird das elektrische Ortsnetz Ittlingen in Betrieb genommen“, und seitdem leuchtet Ittlingen immer noch und hoffentlich noch lange in der Zukunft!

Die Bürger gewöhnten sich an die Vorteile und Erleichterungen, die die neue Energie bot. Verständlicherweise waren aber viele der Neukunden“ mit den zu betreibenden Haushaltsgeräten noch nicht vertraut. Um die Akzeptanz für deren Einsatz zu fördern und Vorbehalte abzubauen, bot das Badenwerk in einem Schreiben an das Bürgermeisteramt Ittlingen am 28.11.1924 folgende Elektrogeräte zur Miete an:

1 bestes Haubenbügeleisen, 3 kg schwer, mit Kragensteckdose und 2 m Schnur, monatl. Miete 0,85 RM

 1 Wasserkocher, 1 l, ohne Schnur, monatl. Miete  0,90 RM

 1 Fußwärmer, Plattengröße 350 x 300mm, monatl. Miete  2,40 RM

1 Heizsonne mit hochglanzvernickeltem Reflektor, Durchmesser 270 mm und Anschlussschnur, monatl. Miete  1,50 RM

In dem Schreiben wies das Badenwerk auf Folgendes hin: „Ganz besonders wollen wir bemerken, dass es sich bei den in Rede stehenden Apparaten nur um allerbeste Qualitätsware handelt, die wir unseren Abnehmern ohne jeden Nutzen für uns zur Verfügung stellen werden“*.

Mit der beginnenden Inflation, der Besetzung des Rheinlandes und damit ausbleibenden Kohlelieferungen zum Betreiben der Kraftwerke 1922/23 gab es dann zwischen den Strom abnehmenden Gemeinden und dem Badenwerk immer wieder Streit um Rationierungen und Erhöhungen der Strompreise. In einem Schreiben argumentiert das Badenwerk …dass bei der üblichen, nachträglichen Bezahlung des Stromes das Geld gegenüber der Rechnungsstellung schon bis zu ¾ seines Wertes verloren habe“ und teilte mit.. „dass künftig nach dem Goldmark-Standard abgerechnet werden müsse“*.

Wie sich die Inflation auf eine Gemeinde wie Ittlingen auswirkte, mit welchen sich ständig ändernden Beträgen (Nullen ohne Ende!) an Steuern, Gehältern, Gebühren, Löhnen die Gemeindeverwaltung in dieser Zeit zu tun hatte, darüber wollen wir in einem der nächsten Beiträge des Heimatvereins berichten.

 

 

Michael Hauk

 

Hinweis:

* Wörtlich übernommene Passagen aus archivarischen Akten sind kursiv gedruckt.