Nahezu am Ortsrand von Ittlingen, im Gewann Richener Bühl, befindet sich ein Kleinod der Gemeinde, um dessen Erhalt die Gemeindeverwaltung sehr bemüht ist, das in der Regel aber kaum Beachtung findet.

Umgeben von Hecken und einem Zaun, etwas verwildert bewachsen, ragen hier etwa 60 Grabsteine mit größtenteils gut erhaltenen hebräischen Inschriften in die Höhe, die nicht nur Auskunft über die hier bestatteten Personen geben, sondern das kulturhistorische Zeugnis einer Gemeinde sind, die in Ittlingen seit Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zum 22. Oktober 1940 ansässig war.

Hier auf dem jüdischen Friedhof in Ittlingen versammelten sich am Sonntag, dem 09.11.2014 über 80 Ittlinger Bürger, um in einer vom Heimatverein Ittlingen e. V. organisierten Führung mehr über die Lebens- und Todesvorstellungen einer religiösen Gemeinschaft zu erfahren, die in Deutschland, sei es im Mittelalter oder im Nationalsozialismus, immer wieder massiven Verfolgungen ausgesetzt war.

Michael Hauk, erster Vorsitzender des Heimatvereines Ittlingen, begrüßte die Versammelten und zeigte sich hocherfreut ob des großen Interesses an dieser Veranstaltung. Dr. Ulrich Kattermann, zweiter Vorsitzender des Vereines, und Michael Heitz, profunder Kenner der jüdischen Geschichte des Kraichgaus und Träger des Deutsch-Jüdischen Geschichtspreises 2011 (Obermayer-Award), gelang es durch ihre Ausführungen darzulegen, wie sehr die jüdische Gemeinde Ittlingen in ihrem Heimatort verwurzelt war.

Eine ganze Reihe der erhaltenen Grabsteine ist auf die Zeit während des Ersten Weltkrieges datierbar. Viele jüdische Bürger, auch die in Ittlingen ansässigen, hatten damals geglaubt, endlich als echter Teil des deutschen Volkes anerkannt zu werden. Jüdische Männer zogen gemeinsam mit ihren christlichen Kameraden in den Krieg, auch bereit, ihr Leben dem Vaterland zu opfern. Eine Bereitschaft, die ihnen später, wie es die erlittene Verfolgung und Ermordung im Nationalsozialismus zeigen sollte, nicht gedankt wurde.

Angelegt wurde der jüdische Friedhof am Rand von Ittlingen im Jahr 1887, erklärt Dr. Kattermann. Das älteste Grab stamme aus dem Jahr 1889. Zuvor waren die Verstorbenen z.B. auf dem in etwa 19 km entfernten jüdischen Friedhof Waibstadt begraben worden.

Im Jahr 1862 gewährte das Großherzogtum Baden als erster deutscher Staat den Juden die uneingeschränkte Gleichberechtigung. Die Toleranz war dennoch nur soweit gediehen, dass die Errichtung des jüdischen Friedhofes in Ittlingen, wie andernorts im Kraichgau auch, allenfalls in Ortsrandlage möglich war.

Zu dieser Zeit besaß Ittlingen etwa 160 jüdische Mitbürger, deren Zahl laut Dr. Kattermann in Folge beständig abnahm, sei es durch Auswanderung in die USA oder durch Abwanderung in die umliegenden größeren Städte.

Im Jahr 1938 lebten noch acht jüdische Bürger in der Gemeinde. Sieben wurden später ins südfranzösische Gurs deportiert. Erwin Wimpfheimer überlebte die Schoah damals nur, weil er in einem Kloster versteckt worden war. Damit endete die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Ittlingen, beschließt Dr. Kattermann seine Ausführungen.

Welche große Bedeutung dieser Friedhof für die jüdischen Mitbürger besessen haben muss, erschließt sich den Zuhörern, als Michael Heitz die Lebens- und Todesvorstellungen im Judentum darlegt.

Das jüdische Volk sei ein sehr lebensbejahendes, erklärt Heitz. Der Friedhof sei für die Juden ein Ort des Wartens – des Wartens auf das Erscheinen des Messias. Dies erkläre, warum die Grabsteine nach Osten in Richtung Jerusalem ausgerichtet sind, wo das Erscheinen des Messias erwartet wird. Nach jüdischem Glauben ist es daher undenkbar, ein Grab aufzuheben, wie es z.B. im Christentum üblich ist.

Dass jeglicher Blumenschmuck fehle und stattdessen auf den Grabsteinen oftmals kleine Steine zu finden sind, sei typisch für jüdische Friedhöfe. Blumen spiegelten zunächst das Prinzip der Vergänglichkeit wider. Darüber hinaus gibt es eine jüdische Überlieferung, nach der Blumen der Erde jene Kraft, die der Tote später zur Auferstehung braucht, entziehen würde. Außerdem herrsche in weiten Teilen Israels überwiegend Trockenheit, so dass Blumenschmuck historisch gesehen keinen Einzug in die jüdische Bestattungskultur gefunden hat, führt Heitz aus.

Blüten, insbesondere Rosenblüten, finde man auf jüdischen Friedhöfen lediglich in die Grabsteine eingemeißelt, so auch in Ittlingen. Sie sind ein Symbol für die Erneuerung des Lebens. Besonders häufig findet man in Ittlingen den Davidstern auf den jüdischen Grabsteinen, vor allem auf denjenigen, die auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg datierbar sind. Dies hat auch etwas mit dem wachsenden jüdischen Selbstbewusstsein nach dem Ersten Weltkrieg zu tun. Die Verwendung des Davidsstern auf dem Grabstein drückt die Verbundenheit des Verstorbenen mit dem Zionismus und dem Land Israel aus, erläutert Heitz.

Ähnlich rätselhaft wie die Bildsymbole erschienen bis dahin dem ein oder anderen Nichtkenner der jüdischen Geschichte auch die eingemeißelten Familiennamen. Viele davon erinnern an umliegende Ortschaften, so die Namen Wimpfheimer, Eichtersheimer oder Karlsruher.

Die in unserer Region ansässigen Juden führten zu früheren Zeiten keine deutschen Familiennamen, erläutert Heitz. Das habe sich erst mit dem badischen Emanzipationsedikt aus dem Jahr 1809 geändert.

Die badischen Juden durften von nun an ein Handwerk oder einen landwirtschaftlichen Beruf erlernen, bisher gültige Heiratsbeschränkungen wurden aufgehoben. Das Gesetz verpflichtete die jüdischen Familien allerdings auch dazu, einen deutschen erblichen Familiennamen anzunehmen.

Dies habe dazu geführt, dass die jüdischen Familien hierzulande ihre deutschen Herkunftsorte als erbliche Familiennamen – mehr oder weniger abgeändert – bestimmten.

Abschließend hatte jeder Besucher nach den Ausführungen über die Geschichte der jüdischen Gemeinde Ittlingens und dessen Friedhofs noch genügend Zeit, sich die Grabsteine in Ruhe anzuschauen, bis bei Sonnenuntergang das Tor zum Friedhof wieder verschlossen wurde.

 

        Dr. Ulrich Kattermann