Im Herbst 2018 ist es 50 Jahre her, dass die Flurbereinigung Ittlingen mit der Zuteilung der neugebildeten Flurstücke ihren Abschluss gefunden hat. Wohl keine Maßnahme seit der Aufhebung des Flurzwangs Anfang des 18. Jahrhunderts hat unsere Gemarkung und deren Aussehen derart verändert wie die Flurbereinigung. Darüber hinaus hat sie das lange bäuerlich geprägte und gesellschaftliche Gefüge im Dorf stark verändert. Dies geschah natürlich im Zusammenhang und auch in Folge der Entwicklung des ländlichen Raums nach dem 2. Weltkrieg. Im folgenden Beitrag sollen die Gründe der Flurbereinigung und deren Auswirkungen auf die Landwirtschaft, unser Dorf und das Landschaftsbild näher betrachtet werden.

Welche Entwicklungen der Vergangenheit haben überhaupt  Flurbereinigungen erforderlich werden lassen? Um diese Frage zu beantworten, muss man in die Geschichte zurück schauen.

Seit Ende des 17. Jahrhunderts bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein herrschte in unserem Raum die Realteilung. Das bedeutete, dass alle Flurstücke, manchmal sogar das Anwesen, das einer bäuerliche Familie gehörte, bei einem Übergang an die nächste Generation möglichst gleichmäßig unter allen Geschwistern aufgeteilt wurde, jede und jeder hat etwas „mitkriegt“. Bauerntöchter ohne Geschwister waren daher heiß umworbene Heiratskandidatinnen! Dieses Aufteilen hatte zur Folge, dass innerhalb weniger Generationen neben den landwirtschaftlichen Betrieben vor allem die Grundstücke immer kleiner wurden, bis herunter zu einer Größe eines Viertels eines badischen Morgens, das waren 9 ar (900 Quadratmeter, die Größe eines Bauplatzes!). Die meisten Flurstücke hatten keine Wegeanbindung, es bestanden sogenannte Überfahrtsrechte, die es einem Bewirtschafter erlaubten, über die Felder seiner Angrenzer zu seinem Flurstück zu gelangen. Teilweise waren diese Überfahrtsrechte sogar notariell festgehalten, ansonsten bestand dazu ein Gewohnheitsrecht. Auf Grund der geringen Betriebsgrößen und der kleinen Flächen achtete jeder Landwirt streng darauf, dass der Nachbar bei der Bewirtschaftung seine Grundstücksgrenzen einhielt und ja keinen Zentimeter zuviel wegpflügte. Um keinen Boden an den Nachbarn zu verlieren, wurde immer zur Mitte hin gepflügt, das führte zu einem „Wellblechprofil“ auf der Gemarkung, das noch viele Jahre nach der späteren Zusammenlegung der Flächen gut erkennbar war.

Ab den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zeichnete sich ab, dass die Zersplitterung der Feldflur die Bewirtschaftung der Flächen sehr erschwerte, zu einem hohen Zeitaufwand mit langen Wegen führte und mögliche höhere Erträge verhinderte. So wurden nach dem Ersten Weltkrieg bereits erste Feldbereinigungen, d.h. die Zusammenlegung kleiner und kleinster Felder zu größeren Schlägen  durchgeführt, oft auf Teilflächen der Gemarkungen. In Ittlingen wurde 1934-1937 als „Landeskulturmaßnahme“ und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit das bis dahin als Grünland genutzte gesamte Elsenztal drainiert, damit trockengelegt und konnte so als gutes Ackerland genutzt werden. Zusammen mit angrenzenden Flächen wurde das Elsenztal in eine Feldbereinigung einbezogen, deren Fläche ca. 230 ha umfasste. Im Zuge dieser Maßnahme wurde übrigens die Elsenz im Dorfgebiet verlegt, so entstanden die Flächen hinter dem heutigen Rathaus.

Die ab 1950 einsetzende Abwanderung von Arbeitskräften aus der Landwirtschaft in die Industrie und vor allem die beginnende Mechanisierung der Landwirtschaft erforderte nachdrücklich ein Ende der völlig unökonomischen Parzellierungen. 1953 wurde das Flurbereinigungsgesetz erlassen, dieses bot erstmals die Möglichkeit, „im Interesse des Gemeinwohls und der Entwicklung der Landwirtschaft“ in private Besitzverhältnisse einzugreifen. Nach vielen und kontroversen Diskussionen und intensiver Meinungsbildung entschloss sich die Mehrheit der Grundbesitzer in Ittlingen, eine Flurbereinigung anzustreben und diese zu beantragen. Dazu muss man wissen, dass nicht nur die Landwirte, sondern alle Grundstückseigentümer an einer Flurbereinigung beteiligt waren. Gerade durch die Realteilung ist das Grundeigentum im Kraichgau sehr breit gestreut, die Landwirte besitzen bis heute je nach Betrieb nur ca. 20-30% der von ihnen bewirtschafteten Flächen, der Rest ist gepachtet.

Im Juli 1960 ordnete das Landesamt für Flurbereinigung und Siedlung Baden- Württemberg die Flurbereinigung für die Gemeinde Ittlingen an. Durch diesen Beschluss entstand eine sogenannte „Teilnehmergemeinschaft“ (TG) als „Körperschaft des öffentlichen Rechts“, in der alle Grundstücksbesitzer kraft Gesetzes automatisch Mitglied werden mussten. Aus den Reihen der Grundstücksbesitzer wurde ein 5-köpfiger Vorstand gewählt, der die TG führte und rechtlich vertrat. Für die fachlichen Arbeiten war das Flurbereinigungsamt Sinsheim zuständig, das die Durchführung aller Maßnahmen eng mit dem Vorstand der TG abzustimmen hatte. Zunächst wurde allen Grundstücksbesitzern die Verfügungsgewalt über ihre Flurstücke entzogen, Grundstückskäufe und auch Verkäufe waren nur mit Zustimmung der TG möglich, die ein grundsätzliches Vorkaufsrecht hatte. Als nächster Schritt wurden alle in die Flurbereinigung eingebrachten Grundstücke nach einem Punktesystem bewertet, das z.B. die Bodengüte nach der Reichsbodenschätzung, Hangneigung, Entfernung zu Wegen, Mißformen und Bewirtschaftungserschwernisse u. Ä. berücksichtigte, ebenso auf den Grundstücken befindliche Obstbäume. Jeder Grundstücksbesitzer erhielt danach eine „Gesamtpunktzahl“ seiner Flächen. Gleichzeitig wurde vom Flurbereinigungsamt  ein sogenannter Wege- und Gewässerplan erstellt, der die neu anzulegenden Feldwege und Gräben vorschlug sowie die neuen, genau vermessenen Grundstückszuschnitte enthielt. Bisherige historische, oft uralte Feldwege mit den sogenannten „Höhle“, den alten Hohlwegen, wurden zugeschüttet und die meisten der ca. 6000 Obstbäume auf der Gemarkung gefällt. Dies ist heute kaum vorstellbar, Umwelt- und Naturschutz spielten damals keine Rolle, und es gab auch keine Stimmen gegen die Durchführungen.

Im Vordergrund stand die Schaffung von möglichst großen Grundstücken, die rationell zu bewirtschaften waren. Die Zuteilung der neuen Grundstücke erfolgte dann so, dass nach Möglichkeit die eingebrachte Punktzahl erreicht wurde, gegebenenfalls erfolgte ein Flächenausgleich oder eine Ausgleichszahlung durch die TG oder der Grundstücksbesitzer musste nachzahlen. Auf der sogenannten Wunschtagfahrt wurden den Grundstücksbesitzern ihre neuen Grundstücke, deren Lage, Größe und Zuschnitt vorgestellt und diese dazu angehört. Natürlich ging die Zuteilung der neuen Grundstücke nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten. Viele Grundstücksbesitzer mit wenig Flächen hatten plötzlich nur noch ein Grundstück und genau das mit dem natürlich allerbesten Boden war verloren!

Spötter sagten danach: „Vor der Flurbereinigung hatte einer nur die besten Flächen, nach der Neuzuteilung die schlechtesten, und bei der Verpachtung wieder die besten!“

Nach der Getreideernte 1968 wurden die neuen Grundstücke vermarkt und mit Pfählen abgesteckt. Für viele Grundstücksbesitzer war es schwierig die neuen Grundstücke zu akzeptieren, viele hatten ihr „Lieblingsstückle“ verloren, das schon dem Großvater wichtig und wertvoll war.

Nach der Zuteilung war es für die Landwirte eine Riesenarbeit, die alten Grenzsteine zu entfernen, die sich nun mitten in den neuen Parzellen befanden. Ich erinnere mich noch gut an den Wagen voller schwerer Steine, die ich mit meinem Vater in wochenlanger Arbeit im Laufe des Herbstes ausgegraben und aufgeladen habe, manches Pflugschar hat später trotzdem noch Schaden genommen.

Wichtig war die Erschließung der Gemarkung und der Grundstücke, jedes musste auf öffentlichen Wegen erreichbar sein. So wurden insgesamt 28 km befestigte Wege geschaffen, die auch Spaziergängern und Radfahren zu Gute kommen. Hinzu kamen 130 km Gewannwege, die heute zu einem großen Teil in die Ackerflächen integriert sind.

Die Zahl der Parzellen auf der Ittlinger Gemarkung verringerte sich von 7108 auf 1910, die Durchschnittsgröße erhöhte sich von 0,20 ha auf 0,75 ha. Parzellen, d.h. im Grundbuch vermerkte und versteinte Flächen dürfen ohne Einwilligung des Amtes für Landwirtschaft nicht mehr geteilt werden. Parzellen können aber von den Bewirtschaftern zu Schlägen, also großen Grundstücken zusammengefasst werden. Bis heute hat sich dadurch die Zahl der Schläge mit Sicherheit nochmals mehr als halbiert. In Folge des Strukturwandels in der Landwirtschaft, tauschen die Betriebe ihre Flächen untereinander und schaffen so große, den modernen Bewirtschaftungsmethoden angepasste Schläge mit allen damit verbundenen Vorteilen und Problemen.

Umsonst war die Flurbereinigung nicht, die Kosten je ha Fläche betrugen ca. 1250 €,  davon mussten die Grundstücksbesitzer ca. 30% tragen. Hinzu kam ein Flächenabzug von 6% für die Anlage der neuen Wege und Gräben.

Wie hat sich nun die Flurbereinigung auf die bäuerliche Struktur in Ittlingen ausgewirkt? Zahlreiche kleinere Betriebe konnten plötzlich nicht mehr genug Flächen pachten, ein „Äckerle nebendran“ wie früher gab es nicht mehr, und die mit dem Abschluss der Flurbereinigung stark gestiegenen Pachtpreise konnten und wollten manche nicht bezahlen und gaben ihren Betrieb auf. So verringerte sich die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe, vor allem der Zu- und Nebenerwerbsbetriebe enorm, die Bewirtschafter fanden problemlos Arbeitsplätze und gute Einkommensmöglichkeiten im engeren Raum. Die von ihnen aufgegebenen Flächen wurden von den verbliebenen Betrieben aufgenommen. Die heute noch bestehenden Voll- und Nebenerwerbsbetriebe haben inzwischen Betriebsgrößen erreicht, die man sich vor 50 Jahren niemals hätte vorstellen können. Neben den landwirtschaftlichen Betrieben haben auch die Bürger unserer Gemeinde von der Flurbereinigung profitiert: Eine vollständig bewirtschaftete und damit gepflegte Gemarkung, für Spaziergänger und Radfahrer erschlossen, und für alle Grundstücksbesitzer eine stabile Werterhaltung und andauernde Wertsteigerung ihrer Grundstücke.

Für die Zukunft wäre zu überlegen, ob bei der mit Sicherheit weiter zunehmenden Größe der Schläge ein Programm zur Schaffung von Brachflächen und Blühstreifen und damit zur Förderung der Biodiversität sinnvoll wäre. Hier sind aber nicht nur die Landwirte, sondern alle Grundstücksbesitzer in der Verantwortung.

 

         Michael Hauk