Zuckerrübenernte

 

In den fünfziger Jahren gab es in der Landwirtschaft noch wenige Maschinen. Dies bedeutete harte Arbeit für die ganze Bauernfamilie. Heutige Landwirte, denen modernste Maschinen zur Verfügung stehen, können sich kaum vorstellen, welche Mühsal die Bauern bewältigen mussten. Ich möchte deshalb aus meinen Erinnerungen als Beispiel von einem Bereich, der Zuckerrübenernte, erzählen, wie ich diese schwere Zeit auf unserem Hof erlebte.

Die Getreideernte ist eingebracht, das Heu in der Scheune, die Futterrüben im Keller, die Kartoffeln für Mensch und Tier zuhause, das Obst ist geerntet und viele Fässer Most sind gepresst. Most war und ist unser Nationalgetränk in Baden-Württemberg. Was jetzt noch zu ernten ist, sind unsere Zuckerrüben. Eine zeitraubende, harte Arbeit.

Bevor wir im Spätherbst mit der Rübenernte beginnen können, müssen noch viele Arbeiten per Hand vorbereitet werden. Als erstes werden die Blätter der Zuckerrüben entfernt. Das geschieht durch mühsame Handarbeit mit [dem Rübenköpfer,] einem Gerät ähnlich einer Schaufel. Das Metall ist jedoch geschärft und wie ein Messer geformt. [Die „Rübenköpfe“ mit den Blättern werden auf einen Schwad abgelegt, von Hand auf Wagen geladen und als wertvolles Viehfutter nach Hause gefahren.]

Danach kommt der Handrübenstecher, eine massive zweizinkige Gabel, zum Einsatz, weil am Ackeranfang erst noch einige Reihen Rüben aus der Erde ausgestochen werden müssen. Erst danach können wir mit [dem Roden] der Zuckerrübenernte mit unserer einfachen Radschaufelmaschine [Rübenroder] beginnen. Reihe für Reihe werden damit die Rüben aus der Erde gehoben.

Bald liegen alle Zuckerrüben auf dem Acker. Weil die Ernte jedoch erst im Spätherbst oft bei schlechtem Wetter beginnt, sind die Rüben meistens verdreckt und voller Erde. Die Zuckerrüben sollen aber einigermaßen sauber abgeliefert werden. Klebt zu viel Erde an den Rüben, bekommen wir einen Schmutzabzug. Da konnten 12 bis 15 Prozent sein. Um dies zu vermeiden, müssen wir jede einzelne Rübe in die Hand nehmen und anhängende Erde und Blätter sauber entfernen.

Die Zuckerrüben werden dann am Bahnhof in Eisenbahnwaggons  verladen. Wir benötigen 5 bis 6 Waggons, um alle Zuckerrüben zu verladen. Viele Bauern warten auf einen Termin für die Verladung. Also heißt es abwarten, bis man dran ist. Das bedeutet, die Rüben erstmal auf dem Acker zu einem Haufen zu lagern und mit dem abgeschnittenen Grünzeug der Kälte wegen abzudecken. In der Regel müssen wir bis Dezember warten, bis uns die Waggons zugeteilt werden. [Üblicherweise konnte von Ende September bis Ende Dezember verladen werden.] Endlich ist es soweit. Die ganze Familie muss jetzt mitanpacken. Großvater, Vater, Mutter, mein Bruder Wolfgang, meine Schwester Traudel und ich, die Jüngste. Jede Hand wird jetzt gebraucht, damit das Verladen möglichst zügig abläuft.

Zu der späten Jahreszeit ist es oft bitterkalt. Meine Finger sind blau und steif. Gerne hätte ich mich vor dieser nassen, kalten und schweren Arbeit gedrückt. Die Aufmunterung, die ich bekomme, ist: „Arbeite schneller, dann wird dir warm.“ Jammern hilft jetzt nichts, denn wir sind ja froh, dass wir endlich verladen können.

Zuerst wird ein Wagen auf dem Feld beladen. Dann fahren Wolfgang und ich mit dem voll beladenen Fuhrwerk, das von einem Traktor gezogen wird, zum Bahnhof.

Mein Bruder Wolfgang, der Kraft hat, kann die Rüben mit einer Gabel in den Waggon schaufeln. Ich jedoch habe nicht diese Kraft. Für mich heißt es, Rübe für Rübe in den Güterwaggon zu werfen. Die anderen fleißigen Hände beladen in der Zwischenzeit auf dem Feld einen zweiten Wagen, der vom Pferdegespann gezogen wird. Es ist ein Holzwagen. Die Räder sind mit Eisen beschlagen, die sich tief in die Erde graben. Sobald der Wagen voll beladen ist, geht es jetzt mit dem Pferdefuhrwerk in Richtung Bahnhof.

So entstand ein Pendelverkehr zwischen Acker und Bahnhof. Es kann mehrere Tage dauern, bis wir fertig sind. Sobald die Waggons voll sind, werden sie endlich von einer Lok in die Zuckerfabrik gezogen. Das war der sogenannte „Rübenzug“.

Durch den Zuckerrübenanbau hatten wir den Vorteil, dass wir meistens einen Sack Zucker und einen Eimer Zuckerrübensirup zuhause hatten. Zuckerrübensirup aufs Brot schmeckt köstlich.

 

Marga Grönwald (geb. Klemm),  geschrieben im November 2012

[Überarbeitet und digitalisiert von Michael Hauk und Tanja Kirchgeßner]